Geschrieben am . Veröffentlicht in Interview Ich Bins...Dein Nachbar.

Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." Namik Kemal Citak

Gastarbeiter aus der Türkei und Italien erzählen, wie sie in den 60-iger Jahren nach Deutschland kamen und eine Deutsche Seniorin berichtet, wie sie die Zuwanderung erlebt hat. In der zweiten Folge dieser Artikelserie berichtet Namik Kemal Citak über seine Erlebnisse:

n citak 3Namik Kemal Citak

Geboren am: 3.1.1941
Geburtsort: Malkara/Türkei
In Deutschland seit 1969
Grund der Einwanderung: Beschaffung von Kapital für eigenen Laden
Beruflicher Werdegang: Gießerei - FORD
Urlaubsort: Türkei (3 Monate)

Als die Männer des Senioren Cafés gefragt wurden, ob sie an der Erzählwerkstatt teilnehmen wollen, weigerte sich Kemal Citak. Er forderte die Männer auf, weiter Tavla zu spielen. Als er explizit darauf angesprochen wurde, warf er plötzlich die Würfel hin und sagte, er hätte alles verloren, als er nach Deutschland kam. Etwas später willigte er ein, seine Geschichte mit den anderen zu teilen.

Guten Tag,mein Name ist Citak,Namik Kemal, ich bin 1969, imAlter von 28 Jahren, nach Köln gekommen. Hier habe ich bei Ford in einer Gießerei gearbeitet. Das war schwere Arbeit.Meine erste Tochter wurde 35 Tage nach meiner Ankunft hier in der Türkei geboren. Neun Jahre blieb ich allein in Deutschland und besuchte meine Familie zwei Mal im Jahr. Ich habe nie wieder den Lebensstandard erreicht, den ich in der Türkei hatte.

Kemal Citak ist Schneider und hatte die Schneiderei seines Vaters übernommen. Er führte das Geschäft und es ging ihm gut. Schließlich baute er ein Haus für seine Familie. Um dies aufrecht zu erhalten, brauchte Kemal Citak etwas Eigenkapital. Diese Motivation führte ihn nach Deutschland. Nach kurzem Zögern überredete ihn ein Dolmetscher, sich auf die Reise zu machen. Seine Frau war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger.

Bevor es losging, musste sich der junge Mann, wie alle, die nach Deutschland wollten, einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Männer und Frauen mussten sich entkleiden und wurden gründlich untersucht. Das war nicht einfach für die jungen Türken. Sie bekamen eine Impfung und mussten in Quarantäne gehen. Dort verbrachten die Ausreisewilligen ein paar Tage in einem Keller, wo sie aßen und schliefen. Dies überstanden, fuhr Kemal Citak mit dem Zug nach Deutschland. Eine Tüte Essen, ein paar Kleider und die Zuversicht, bald wieder zurückkehren zu können, im Gepäck.

Wie die meisten Gastarbeiter wohnte Kemal Citak zu Beginn in einem Arbeiterwohnheim in Stammheim. Später lebte er in Köln-Mülheim.

Als ich nach 6 Monaten in Deutschland, in der Türkei Urlaub machte, sah ich, dass die Schneiderei verloren war. Ich habe 30 Jahre in Deutschland gearbeitet und bin nie wieder auf diesen Lebensstandart gekommen. Dabei wollte ich etwas erreichen. Ich sagte mir lange, ich muss Geld verdienen und zurückkehren. Ich habe gekämpft, aber es ist nicht soviel geworden.

Nach so langer Zeit steigen dem Herrn immer noch die Tränen in die Augen. Es hat Kemal Citak schwer getroffen und er hat diesen Verlust nie verwunden. So ist es nicht verwunderlich, dass er nicht gern in Deutschland war.

Auch die Arbeit war eine ganz andere. In der großen Fabrik von Ford hat der, eigentlich filigran arbeitende Schneider, in der Gießerei eine Stelle gefunden. Die Arbeit war schwer und Kemal arbeitete in drei Schichten, plus Überstunden. Mit Hin- und Rückfahrt war er teilweise bis zu 11 Stunden unterwegs. Darunter litten sowohl der Deutschunterricht, als auch seine Laune.

Aber Namik Kemal Citak ließ sich nicht unterkriegen in dem fremden Land, mit dem er auf seltsame Weise verbunden ist. Er ist kontaktfreudig und gern unter Menschen. Am liebsten wäre er bei seiner Werksausweis bei FordFamilie gewesen. Da Kemal neun Jahre allein in Deutschland war, schaffte sich der junge Mann Alternativen.

In Stammheim habe ich 18 Monate in einer türkischen Fußballmannschaft gespielt. AmWochenende bin ich ins türkische Kino gegangen.Danach bin ich in eineWirtschaft gegangen.Was sollte ich sonst machen? Immer nur arbeiten?

Mit einigen Mannschaftskollegen verbindet ihn bis heute eine Freundschaft. Leider hatte er auch bald keine Zeit mehr zum Fußball-kicken. Die Arbeit fraß alle Zeit auf.

Ich habe mindestens 6 Tage gearbeitet. Manchmal jeden Tag. Denn wenn ich Nachtschicht hatte, habe ich Sonntag angefangen und Sonntag aufgehört. Ich war todmüde.

Die Urlaube in der Türkei waren schwer. Im Laufe der Zeit bekam seine Frau das zweite Kind. Einen Sohn. Seine Kinder erkannten ihn zu Beginn nicht. Konnten mit dem Vater nicht viel anfangen. Sie fragten, Papa, wer ist Papa? Nur langsam wuchs die Beziehung.

Zum Abschied weine ich immer, auch heute noch.Aus dem Grund, weil ich weiß, dass ich viele Menschen lange nicht sehen werde.

Die Situation war auch für seine Frau schwer zu ertragen. Trotz der Großfamilie. Denn sie lebte in dem Haus, welches Kemal gebaut hatte. Es grenzt an einen Garten und um diesen Garten herum befinden sich die Häuser der Familienangehörigen.

Doch ohne Mann ist es schwer. So kam es, dass Kemal in einem Urlaub davon sprach, noch zwei Jahre zu bleiben, um dann zurückzukehren. Seine Frau sagte daraufhin, nein wir kommen auch nach Deutschland.

Das war die Entscheidung endgültig in Deutschland zu bleiben. Dies erzählt uns der alte Herr und presst dabei seine Lippen zusammen. Durch seine Knopfaugen blickt er in die Runde und es scheint als wisse er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Schließlich nimmt Kemal Citak sein Schicksal mit Humor.

Die Familie Citak lebte über 30 Jahre in Köln-Mülheim. In Deutschland wurde der zweite Sohn von Kemal geboren. Die drei Kinder sind wohl geraten. Im Sommer 2011 wird er Uropa. Seine Tochter ist Kinderpflegerin. Der älteste Sohn hat ein Immobilienbüro und der jüngere Sohn ist Marineoffizier und wird bald Schiffskapitän.

Kemal Citak hat die gesamte Zeit, die er in Deutschland lebte, auch in der Türkei gelebt. Dort besitzt er mehrere Häuser und verbringt 3 Monate des Jahres in seiner alten Heimat. In Deutschland hat er keinen Besitz. Nur seine Rente, sagt er. Seit 1998 ist Kemal zu Hause. Erst war er 18 Monate arbeitslos und danach ging er in Frührente. Auf die faule Haut legt er sich nicht.

Herr Citak begleitet das Amt des Seniorenvertreters in Mülheim. Täglich findet man ihn im Seniorencafe auf der Olpener Straße oder im Interkulturellen Forum für Senioren der AWO in der Dünnwalder Straße in Mülheim. Er ist Ansprechpartner und nimmt an der monatlichen Seniorenvertreter-Versammlung teil. Jeden 3. Monat finden Treffen in Deutz statt.

Ich gehe zum Seniorentreff, zum Tanz und in den Schrebergarten. Ich habe keine Zeit mit meiner Frau zu sprechen. Wenn ich nach Hause gehe, gucke ich Fußball oder deutsche Natursendungen.

Auf die Frage, wo er sich zu Hause fühlt, antwortet Kemal Citak: Das ist eine schwere Frage. ImMoment ist mein zu Hause hier in Deutschland. In der Sommerzeit lebe ich in der Türkei, dann ist dort mein zu Hause. Das Leben hat ihn hier nach Deutschland geführt. Ob er wollte oder nicht, Kemal Citak musste sein Schicksal annehmen. Das Lachen würde helfen, sagt er und um seine kleinen runden Augen bilden sich freundliche Fältchen.

Kemal ist mittlerweile 70 Jahre alt und hat noch einen Wunsch, den er uns zum Schluss verrät:

Ich will 2012 bis Ende März oder April in Deutschland sein und dann mindestens 6 Monate in meiner Heimat leben. Ich will den Frühling und die Blumen sehen.Über 40 Jahre habe ich das nicht gesehen.

als ich nach deutschlandWeitere Geschichten finden Sie hier: Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..."

Die Geschichten der Erzählwerkstatt "Als ich nach Deutschland kam..." sind außerdem in einer Broschüre erschienen. Herausgeberin ist Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Köln e.V., Frau Ulli Volland-Dörmann, Rubensstr. 7-13, 50676 Köln Layout: GNN-Verlag Köln

Die Broschüre finden Sie in zahlreichen Begegnungsorten in Mülheim ausgelegt. Oder Sie können sie direkt im IFS - Interkulturelles Forum für Senioren, in der Dünnwalder Str. 5, 51063 Köln-Mülheim bekommen. Öffnungszeiten: Dienstag - Donnerstag: 14.00 - 16.00 Uhr