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DEUTSCH-FRANZÖSISCHER WEBSTUHL FÜR DIE MUSIK DER ZUKUNFT

1 Philippe Manoury c Philippe StirnweissDie fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Gürzenich-Orchester Köln, seinem Leiter François-Xavier Roth und Philippe Manoury als „Komponist für Köln“ verspricht auch in der Saison 2017/18 einzigartige Konzerterlebnisse. Für die Domstadt steht u.a. die Weltpremiere seines Konzerts für Flöte und Orchester an. Und in Straßburg wird das Gürzenich-Orchester im Eröffnungskonzert des „Festival Musica“ u.a. Manourys rund 35-minütiges Orchesterwerk „RING“ zur Aufführung bringen.

Mit Philippe Manoury hat das Gürzenich-Orchester die Zukunft der Musik nach Köln geholt. Dank der Einladung des Franzosen als „Komponist für Köln“ mit Beginn der Saison 2016/17 für vier Spielzeiten stehen die Musiker der Domstadt mit ihrem Leiter François-Xavier Roth mehr denn je in der ersten Reihe moderner Musikproduktion. Das spiegelt sich insbesondere in den innovativen Aufführungs-Settings, bei denen sich etwa durch im Saal verteilte Musikergruppen die über Jahrhunderte eingebrannte Hierarchie von Bühne und Publikum auflöst und somit ganz neuartig-sinnliche Hörerlebnisse möglich werden.

So geschehen bei der vom Gürzenich-Orchester in Auftrag gegebenen Komposition „RING“ für großes, im Raum verteiltes Orchester (UA im Mai 2016), mit der Manoury fundamentale musikästhetische Fragen zur Diskussion stellt: „Müssen wir ad infinitum den hierarchisierten ‚philharmonischen Klang‘ kultivieren, den uns die Tradition der Klassik und Romantik hinterlassen hat? Sollte man sich nicht in einer radikal zeitgenössischen Ästhetik ausdrücken und endlich jene Codes aufgeben können, die auf die soziale Ordnung von damals bezogen sind?“ Vergleichbares gilt auch für „In situ“ für Ensemble, Streichorchester und acht Orchestergruppen im Raum, das François-Xavier Roth erst vor wenigen Wochen mit dem Gürzenich-Orchester in Köln aufführte. Gilles Macassar fand anlässlich der französischen Erstaufführung 2014) in Straßburg folgende Worte dafür: „Es gibt nichts Diffuses oder Weiches in dieser Musik, die ein geheimes Netz polyphoner Labyrinthe durchzieht, in dem Philippe Manoury, einem eifersüchtigen Minotaurus gleich, uns den Ariadnefaden entzieht.“

Der in der Bischofsstadt Tulle geborene Komponist ist die unbestrittene Gallionsfigur der französischen Avantgarde seiner Generation. Der kompositorische Ansatz des selbsterklärten Autodidakten basiert dabei auf einem tief reflektierten musikphilosophischen Fundament: „Ich habe das Gefühl, wir entdecken gerade erst die Komplexität. Und diese logische Ableitung, diese gottgleiche Positionierung, dieses ‚Ich habe die Formel‘ – das Resultat ist eine sehr naive, sehr unvermischte Welt. Ich mag es viel lieber, eine Welt zu haben, die das Chaos enthält, den Zufall, nicht nur die gerade Linie.“ In François-Xavier Roth hat der 65-Jährige einen idealen Anwalt für sein individuelles Verständnis von Musik, Welt und Komposition gefunden. Er entdeckt der in den Partituren seines Landsmanns überbordende Sinnesqualitäten: „Ich möchte seine Musik immer gleich noch einmal hören, weil sie so reich ist, dass man beim ersten Mal gar nicht alles ‚schmecken‘ kann.“

Neue Geschmacksproben Manoury’scher Partituren liefert das Gürzenich-Orchester als Rahmung der kommenden Konzertsaison 2017/18: Im Festkonzert zur Saisoneröffnung (3.9.2017) erklingt „Rêve“ aus der „Première suite d'orchestre“, einem erst 2006 wiederentdeckten Jugendwerk des 19-jährigen Claude Debussy, in der Orchestrierung von Philippe Manoury: „Als ich die Klavierfassung zum ersten Mal las, hatte ich sofort die Idee eines ,Debussy vor Debussy’; die Klangsprache eines jungen Komponisten, die noch nicht geprägt war durch die französischen Komponisten seiner Zeit wie Saint-Saëns oder Massenet, sondern den großen Eindruck Wagners widerspiegelte, den dessen späte Werke auf den 19-Jährigen hatten. Aber ich hörte auch eine Musik, die bereits auf das spätere Schaffen Debussys vorausdeutet, wie zum Beispiel die Verwendung von Harmonien, wie sie später in ,La Mer’ zu finden sind. Hätte Debussy seinen dritten Satz selber für Orchester komponiert, wäre sicher etwas ganz anderes dabei herausgekommen. Ich habe jedoch versucht, in meiner Version das Spiel mit den Ambivalenzen der unterschiedlichen Stile herauszuarbeiten. Heraus kam ein neuer, atmosphärischer und suggestiver Traum.“
Zum Abschluss der nächsten Saison wird dann im 12. Sinfoniekonzert (8.7.-10.7.2018) die Uraufführung eines Konzerts für Flöte und Orchester aus der Feder des Franzosen auf den Kölner Programmzetteln stehen, geschrieben für Emmanuel Pahud, den meistgefeierten Flötenvirtuosen unserer Tage.

Einen ersten Höhepunkt der Saison 2017/18 markiert aber zunächst das Gastspiel beim Neue-Musik-Festival „Musica“ am 23. September im Straßburger Palais de la Musique et des Congres, auf das François-Xavier Roth bereits gespannt vorausblickt: „Musica ist eines der größten und wichtigsten Festivals für Neue Musik. Es ist ein Privileg für uns, mit dem Gürzenich-Orchester dieses Festival eröffnen zu dürfen. Wir kommen mit zwei Kölner Uraufführungen, die für immer mit der Geschichte des Orchesters verbunden sind: ‚Don Quixote‘ von Richard Strauss und natürlich ‚RING‘ von Philippe Manoury. Er hat das Werk für uns für die Kölner Philharmonie geschrieben, und ich bin sehr neugierig, wie es in Straßburg funktioniert. Ich habe mehrfach in Straßburg musiziert, mit dem SWR-Orchester und mit ‚Les Siècles‘. Und ich bin sehr stolz darauf, nun mit meinem Kölner Orchester dorthin zu reisen.“

Epochen zusammendenken, Konzertformen hinterfragen und neue musikalische Ausdrucksformen an das Publikum herantragen: So lässt sich der Dreiklang formulieren, den der Komponist Philippe Manoury, das Gürzenich-Orchester Köln und sein Künstlerischer Leiter erfolgreich angestimmt haben. Gemeinsam sitzen sie nun auch in der Saison 2017/18 am deutsch-französischen Webstuhl für die Musik der Zukunft. François-Xavier Roth versteht das auch als klaren Handlungsauftrag an den heutigen Konzertbetrieb: „Ich sehe als unsere – gemeinsame! – Aufgabe, auch den Komponisten unserer Zeit diese Plattform zu bieten, um uns selbst wachzuhalten für neue Sichtweisen auf eine Welt, die sich beständig verändert. Musik kann und soll viel mehr als nur unterhaltsam sein; sie kann uns Fragen stellen, die für unser Zusammenleben entscheidend sind.“

www.guerzenich-orchester.de

Quelle: www.schimmer-pr.de
Foto: Philippe Manoury (c) Philippe Stirnweiss