Umweltinstitut München unterstützt Forderung nach öffentlich zugänglicher Erfassung des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft

Veröffentlicht in Soziales und Leben

umweltMünchen, 15.9.2021 - Niemand weiß genau, welche und wie viele Pestizide in der EU in der Landwirtschaft ausgebracht werden. Denn obwohl es eine Dokumentationspflicht für Spritzeinsätze gibt, werden die Daten über die tatsächliche Ausbringung von Pestiziden bisher weder zentral erfasst noch sind sie für die Öffentlichkeit einsehbar.  Das Umweltinstitut München, das derzeit selbst in Brandenburg vor Gericht die Herausgabe von Spritzdaten einklagt, unterstützt daher die Forderung nach der Offenlegung von Pestizideinsätzen, die der Naturschutzbund Deutschland (NABU) am Mittwoch erhoben hat.

Zentral erfasst werden in der EU bisher nur Zahlen über die jährlichen Verkaufszahlen von Pestizidwirkstoffen, nicht aber über die realen Spritzeinsätze. Darüber, welchen Pestiziden Mensch und Umwelt genau ausgesetzt sind, herrscht bisher eine klaffende Datenlücke, und so finden diese Informationen auch keinen Eingang in die Risikobewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).

Dass überall in Deutschland Pestizide auch abseits der behandelten Flächen in die Umwelt gelangen, konnte das Umweltinstitut gemeinsam mit dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BEL) in einem deutschlandweiten Messprojekt nachweisen. “Kilometerweit vom nächsten Acker entfernt, sogar auf dem Brocken oder im Nationalpark Bayerischer Wald konnten wir Pestizidrückstände nachweisen. Damit wir die Messergebnisse um Daten über die realen Spritzeinsätze ergänzen können, sind wir jedoch auf die Dokumentationen der Landwirt:innen aus der Umgebung angewiesen”, so Fabian Holzheid, politischer Geschäftsführer am Umweltinstitut. “Diesem begründeten wissenschaftlichen Interesse steht jedoch die mangelnde Transparenz der Behörden entgegen. Deshalb unterstützt das Umweltinstitut die Forderung des NABU und des UFZ. Wir fordern absolute Transparenz über alle Pestizid-Einsätze in Deutschland und der EU.”

Das Umweltinstitut klagt in Brandenburg gegen das Landesamt für Landwirtschaftliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF), um Einsicht in die Daten über Pestizideinsätze in einem Biosphärenreservat in Brandenburg zu erlangen. Trotz eines Präzedenzurteils aus Baden-Württemberg blockiert die Behörde nach wie vor die Herausgabe der Daten. “Jeder Mensch hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, welchen und wie vielen Pestiziden sie oder er täglich ausgesetzt ist”, sagt Holzheid. “Die Intransparenz der Behörde in dieser Sache ist ein Unding, vor allem wenn man sich hierbei darauf zurückzieht, dass man selbst offenbar nicht wisse, welche landwirtschaftlichen Flächen von welchen Betrieben überhaupt im angefragten Biosphärengebiet bewirtschaftet werden.”

Das Umweltinstitut wird demnächst zum ersten Mal konkrete Aussagen über den realen Pestizideinsatz in einer landwirtschaftlich intensiv genutzten Region in der EU machen können, anhand der Spritzdaten von etwa 1200 Südtiroler Landwirtschaftsbetrieben. Diesen einmaligen Datenschatz konnte die Umweltorganisation im laufenden Pestizidprozess  gegen ihren Mitarbeiter Karl Bär als Beweismittel sicherstellen lassen. Die laufende Auswertung der Betriebshefte aus dem Südtiroler Apfelanbau macht überdies erstmals die enormen praktischen Herausforderungen deutlich, die neben den behördlichen Hindernissen den Erkenntnisgewinn über Pestizideinsätze in der realen landwirtschaftlichen Praxis erschweren. Denn es gibt für Landwirt:innen keine Vorgaben für eine einheitliche Erfassung der Pestizideinsätze, die dementsprechend zum einen Teil handschriftlich in unterschiedlichen Layouts, und zum anderen Teil digital in unterschiedlichen Erfassungssystemen dokumentiert werden.

“Um echte Transparenz über Pestizideinsätze in der Landwirtschaft und ihre Folgen für Mensch und Artenvielfalt zu garantieren, ist eine EU-weit einheitliche, digitale Erfassung dringend nötig. Es kann nicht sein, dass es Monate an Arbeitszeit und hohe Geldsummen erfordert, diese Daten überhaupt erst in eine auswertbare Form zu bringen, während das Artensterben ungebremst voranschreitet. Die EU-Kommission muss die Vorgaben für die Erfassung dieser wichtigen Umweltinformationen schnellstmöglich überarbeiten und dafür Sorge tragen, dass diese leicht zugänglich sind, beispielsweise in Form einer durchsuchbaren Datenbank”, ergänzt Holzheid die Forderungen des NABU. „Der dramatische Verlust der Biodiversität macht eine umfassende wissenschaftliche Bewertung des Pestizideinsatzes in der landwirtschaftlichen Praxis dringend erforderlich. Politik und Behörden müssen hier schnell und umfassend für mehr Transparenz sorgen.”

Quelle: www.umweltinstitut.org

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