Effizientere Wirkstoffe zur Behandlung von schweren Depressionen

Veröffentlicht in Nachrichten und Doku

Foto Laura KalinskiKetamin ist ein vielversprechender Wirkstoff zur Behandlung von Personen mit schweren Depressionen – starke Nebenwirkungen limitieren den Einsatz aber bisher. Henrik Weber hat in seiner kooperativen Promotion an der TH Köln und an der Universität zu Köln daher von Ketamin abgeleitete Substanzen hergestellt. Diese sind frei von bewusstseinsverändernden Effekten und besitzen eine noch höhere Wirksamkeit als Ketamin, wie erste Laborversuche zeigen konnten.

„Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass eine verringerte Neuroplastizität eines der wichtigsten Merkmale von Depressionen ist. In diesem Fall können sich Verbindungen zwischen Neuronen im Gehirn nicht mehr neu bilden“, sagt Prof. Dr. Sherif El Sheikh von der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln. „Klassische Antidepressiva regen die Neuroplastizität indirekt über neurophysiologische Prozesse an und wirken auf diese Weise stimmungsaufhellend – allerdings treten diese Effekte in der Regel erst nach zwei bis vier Wochen ein.“ Zudem führe der Einsatz dieser Wirkstoffe nur bei jeder dritten behandelten Person zum Erfolg.

In seiner Promotion hat sich Henrik Weber deshalb mit der Herstellung von Wirkstoffen beschäftigt, die auf dem ursprünglich als Narkotikum eingesetzten Ketamin basieren. „Ketamin kann die Neuroplastizität auch bei bislang therapieresistenten Depressionen anregen und bereits nach etwa 40 Minuten eine antidepressive Wirkung hervorrufen. Allerdings ist es im Alltag nur bedingt einsetzbar, da es wegen seiner bewusstseinsverändernden Nebenwirkungen und des damit verbundenen hohen Missbrauchspotenzials lediglich unter ärztlicher Aufsicht verabreicht werden darf“, erklärt Weber.

Im Fokus der Arbeit stand daher die Synthese von Hydroxynorketamin. „Dieses Stoffwechselprodukt von Ketamin macht man mittlerweile für die eigentliche antidepressive Wirkung des Stoffes verantwortlich. Im Gegensatz zu Ketamin weist es weder Nebenwirkungen noch Abhängigkeitspotenzial auf“, so Weber. Ziel der Promotion war es, mehrere Derivate, also chemische Abwandlungen, von Hydroxynorketamin herzustellen und auf ihre Wirkung hin zu optimieren.

Eigenes Herstellungsverfahren entwickelt

Für die Synthese der Derivate hat Weber ein neues, mittlerweile patentiertes Verfahren entwickelt. „Ich habe zunächst verschiedene bereits publizierte Methoden zur Herstellung von Hydroxynorketamin und dessen Derivaten verwendet, woraus sich aber sehr geringe Ausbeuten ergeben haben.“ Daher hat Weber die Grundstruktur des Stoffes mit Hilfe der so genannten Diels-Alder-Reaktion konstruiert, bei der Bindungen zwischen Kohlenstoff-Atomen hochselektiv geschaffen werden. „So war der Ertrag deutlich besser. Das Verfahren hat also mehr Potenzial für eine industrielle Herstellung.“

In einem weiteren Schritt wurde die Struktur optimiert. Dazu erstellte Weber eine Substanzbibliothek: „Ich habe Bestandteile wie Aryl- und Methylgruppen in der chemischen Struktur von Hydroxynorketamin nach dem Trial-and-Error-Prinzip variiert und den Einfluss der Anpassungen auf die Substanzeffekte analysiert.“ So sei eine Bibliothek mit neuen Verbindungen aus verschiedenen Kombinationen entstanden, mit der sich Struktur-Wirkungsbeziehungen nachvollziehen ließen. „Mit diesem Wissen konnten dann gezielt Derivate mit den gewünschten Eigenschaften hergestellt werden“, sagt Weber.

Im Rahmen der Promotion sind so insgesamt 20 Derivate entstanden, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln biologisch untersucht wurden. „Das DLR hat Neuronen, also Nervenzellen, gezüchtet, die mit meinen Substanzen behandelt wurden. Diese Laborversuche haben gezeigt, dass einige Derivate die Neuroplastizität deutlich stärker als Hydroxynorketamin anregen und schon bei sehr niedrigen Konzentrationen wirken, bei denen die Stammverbindung Ketamin noch keinerlei Effekte zeigt.“

Substanzen könnten auch bei Demenz zum Einsatz kommen

Die Derivate werden nun an komplexeren Kulturen am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt getestet. „Dadurch wollen wir belastbare Aussagen darüber treffen, ob ein wirksamer und unschädlicher Wirkstoff entstanden ist“, sagt Prof. Dr. El Sheikh. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt seien, könnten die Substanzen an Lebewesen und im Anschluss daran in den klinischen Testphasen 1 bis 3 untersucht werden.

„Bis ein Wirkstoff auf den Markt kommt, der auf dem von Herrn Weber entwickelten Verfahren basiert, ist es noch ein langer Weg“, so El Sheikh. „Die Ergebnisse sind aber sehr vielversprechend – und das nicht nur für die Therapie von Depressionen, sondern auch für die Vorbeugung und Behandlung von Demenz. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, steigt nämlich, wenn Depressionen in der Vorgeschichte nachzuweisen sind. Zudem kann es auch Demenz-Betroffenen helfen, wenn die Neuroplastizität angeregt wird.“ Das von Weber entwickelte Verfahren wird in einer weiteren Promotionsarbeit im Labor von Prof. Dr. El Sheikh daher weiter optimiert.

Die mit 0,7 bewertete Promotion von Henrik Weber wurde durch Prof. Dr. Hans-Günther Schmalz von der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Prof. Dr. Sherif El Sheikh von der Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der TH Köln betreut.

Link zur Dissertation: https://kups.ub.uni-koeln.de/63335/

Abbildung: Einige der von Henrik Weber hergestellten Substanzen verbessern die Fähigkeit von Neuronen, sich neu zu bilden, wie erste Laborversuche zeigen konnten. (Foto: Laura Kalinski) 
Quelle: www.th-koeln.de

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