Krisen, Aufstände und die Macht der Finanzmärkte

Bericht über den Vortrag von Arne Hintz im Rahmen des Projektes "Erinnern und Handeln für die Menschenrechte" des Allerweltshaus Köln

2_detlef_hartmann_vortrag_allerweltshaus_koelnAm 10.11.2011 hielt Detlef Hartmann einen Vortrag zum Thema „Krisen, Aufstände und die Macht der Finanzmärkte“. Moderiert wurde diese Veranstaltung von Tammo Willenberg.

Der Referent Detlef Hartmann ist in Köln als Anwalt tätig und gehört darüber hinaus zum Redaktionsteam der „Materialien für einen neuen Antiimperialismus“ (http://materialien.org/). Der Referent beschreibt sich selbst als linken Alt-68er. Er ist in verschiedenen politischen Bewegungen aktiv und engagiert sich nicht nur in seiner Funktion als Anwalt für politische Veränderung. In seiner Jugend wurde er stark von den Schriften von Marx geprägt, die er jedoch für nicht mehr zeitgemäß hält. Aus diesem Grund begann er seinen Vortrag mit der Ermutigung an die Zuhörer,
aktuelle politische Entwicklungen zu reflektieren und auf diese Weise die „soziale Frage“ neu zu entdecken.

Nach einer kurzen Einführung beleuchtete Herr Hartmann zunächst die verschiedenen Rebellionen und Aufstände, die in den letzten Monaten auf globaler Ebene stattgefunden haben, und versuchte in diesem Zusammenhang auf Gemeinsamkeiten und Perspektiven dieser Bewegungen aufmerksam zu machen.

Zunächst ging der Referent auf den Aufstand in Tunesien ein und machte deutlich, dass es aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen (insbesondere in der Phosphatzone) im nordafrikanischen Land schon seit Jahren regelmäßig zu Aufständen gekommen ist. Ein besonderes Merkmal Tunesiens ist, dass die Bevölkerung aufgrund breit angelegter Bildungsinitiativen sehr gut ausgebildet ist. Dennoch sind viele Akademiker arbeits- und perspektivlos und werden darüber hinaus alltäglich mit einem repressiven Staatsapparat konfrontiert.

Im Folgenden wies er auf eine ähnliche Entwicklung in Ägypten hin. Dort haben sich in den  letzten Jahren verschiedene Arbeitssektoren organisiert, um gegen die unzureichenden Arbeitsbedingungen zu demonstrieren, insbesondere die Textilarbeiter im Nildelta. Daraus kristallisierte sich eine Bewegung, die seit letztem Frühjahr ihre Proteste massiv verstärkte.
In diesem Zusammenhang wies der Referent auf bestimmte, gemeinsame Charakteristika dieser beiden Fallbeispiele hin, wie beispielsweise die stark ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstorganisation, die Vermeidung der Konfrontation mit der Polizei, die Zusammenarbeit von verschiedenen sozialen Gruppen (beispielsweise von Islamisten und emanzipierten Akademikerinnen).

Des Weiteren sieht der Referent die hohe politische Selbstorganisation als ein Zeichen eines kollektiven Demokratiebedürfnisses. Außerdem geht es den Aufständischen um ein Aufbrechen von Vorurteilen (z.B. die Unterdrückung der Frauen in islamischen Gesellschaften) und generell ein Aufbrechen der starren Gesellschaftsstrukturen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich bei den Aufständen nicht um „blinde Revolten“ handelte, sondern um einen bewussten, von Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen geprägten Aufruf zur Veränderung.

Als Motiv für die jüngsten globalen Aufstände sieht der Referent den erlebten Legitimationsverlust der konservativen, politischen Kräfte im Zuge der Finanzkrise. Dieser Verlust führt zu einer Distanzierung der Menschen von diesen politischen Akteuren und gleichzeitig zu einem neuen Politikverständnis, welches von Partizipation und Selbstorganisation geprägt ist.3_vortrag_detlef_hartmann_allerweltshaus

Einen weiteren Grund für die Rebellion sieht Herr Hartmann im Wegfall früherer, klarer Gesellschaftsstrukturen, in denen alle Bevölkerungsteile eine gewisse Funktion innerhalb der Gesellschaft ausgeübt haben und die Akademiker in diesem Sinne eine Art Funktionselite darstellten. Heutzutage gibt es hingegen weder für Akademiker noch für Facharbeiter materielle Sicherheit. Dies stellt einen Erklärungsansatz für die Occupy-Bewegung dar.

Im weiteren Verlauf des Vortrags ging Herr Hartmann näher auf die Finanzkrise ein. Er beschrieb die Ursachen der Krise als Konsequenz eines von der amerikanischen Zentralbank vorangetriebenen „Innovationsschockes“, welche auf der Theorie des amerikanischen Ökonomen Joseph Schumpeter basiert. Aus dieser Perspektive führt die radikale Technologisierung einer Gesellschaft zu einer neuen Elitenbildung, welche sich in einer radikalen Veränderung der Machtverhältnisse manifestiert. Neue, vorher nichtexistente Akteure gewinnen stetig an Bedeutung (z.B. Google, Facebook), wohingegen andere Unternehmen der alten Wirtschaftssektoren (z.B. die Automobilindustrie) aufgrund der vielfältigen Outscourcing-Prozesse der Produktion in „Billiglohn“-Länder wirtschaftlich nicht mehr überleben können. Daraus resultiert eine Verkleinerung der Mittelschichten. In den USA wurden diese Prozesse durch eine sehr liberale Hypothekenvergabe befeuert, da diese den Konsum, insbesondere von den neuen Technologien wie Computern etc, ankurbelten.

Des Weiteren ging Herr Hartmann auf die Macht der Finanzmärkte und insbesondere auf die Bedeutung der sog. Schattenbänke (in USA: shadow banking) und der Rating-Agenturen ein. Früher war es so, dass eine Kreditvergabe nach Überprüfung der Kreditwürdigkeit erfolgte. Seit den 80ern nehmen Unternehmen jedoch keine Kredite mehr, sondern Anleihen auf, welche im Grunde Schuldpapiere sind. Diese Anleihen konstituieren einen gigantischen Markt, der sowohl Staatsfonds, die Finanzierung der Renten der Bevölkerung als auch viele andere Bereiche umfasst. Primäres Ziel bleibt jedoch immer die Profitmaximierung. Als auf einmal zu viele Anleihen auf dem Markt kamen, platzte die Blase und es kam zur Finanzkrise.

Ein weiteres bedeutendes Phänomen im Kontext der Macht der Finanzmärkte stellen die Rating-Agenturen dar, die durch ihre Prognosen aktiv die Veränderung der Lebensart von Gesellschaften fordern und darüber hinaus auch erheblichen Einfluss auf die Politik souveräner Staaten nehmen. Der Umgang der führenden europäischen Wirtschaftsnationen mit der jüngsten Krise in Griechenland hat gezeigt, dass sie nicht gewillt sind, die Struktur der Finanzmärkte zu ändern.

Zum Abschluss gab Herr Hartmann eine persönliche Einschätzung zu möglichen zukünftigen Entwicklungen und diese ist trotz Krise optimistisch. Einerseits sind die jüngsten Aufstände Beispiele für ein neues, demokratisches Politikverständnis, insbesondere bei jungen Leuten. Dieses äußert sich in direkter Partizipation, neuen, moralisch geprägten Umgangsformen und neuen Beziehungsqualitäten, aber auch in weniger materiellem Wohlstand (in der westlichen Welt). Herr Hartmann appellierte jedoch auch daran, weiter gegen soziale Missstände zu kämpfen, unter anderem gegen die fatale Migrationspolitik der EU, welche zu vielen Todesfällen führt und aus diesem Grund verändert werden muss.

Der Vortrag war sehr frei gehalten und dennoch eindeutig von fundiertem Fachwissen geprägt. An vielen Stellen wies Herr Hartmann auf Parallelen zu anderen Entwicklungen hin, was eine kohärente Reproduktion des Inhalts erschwert. Aus diesem Grund soll dieser Bericht in erster Linie dazu dienen, die wesentlichen Aussagen des Vortrags wiederzugeben, und nicht alle Ansätze und Ideen, die während des Vortrags geäußert wurden, detailliert zu beschreiben. Wer sich näher mit den Ideen von Detlef Hartmann beschäftigen möchte, dem sei seine oben genannte Internetseite ans Herz gelegt.

Fotos: Lisa Adeniyan

www.menschenrechte-koeln.de

 

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