Wie "Mülheim 2020" kaputtgemacht wird, und wie es noch gerettet werden kann

muelheim 2020 logoWer profitiert von der Verhinderung?

Von Rainer Kippe

Dass "Mülheim 2020" nur zum Teil umgesetzt werden kann, ist in Köln inzwischen allgemein bekannt. Die Kölner Presse hat auch berichtet, dass deshalb mindestens 5 der 40 Fördermillionen verloren zu gehen drohen. Dass der Grund dafür bei den Interessen von CDU- und SPD-Politikern zu suchen ist, ist auch jedem klar, der Mülheim und die Grundstücksgeschäfte der lokalen SPD-Matadore in den letzen 32 Jahren verfolgt hat. Denn 32 Jahre ist es jetzt her, dass die SPD-Politiker Feckler, Jonas und Lindlar mit privaten Grundstücksgeschäften und Durchstechereien mit den Kabelwerken F&G auffielen und ihren Hut nehmen mussten. Und 13 Jahre ist es her, dass Klaus Heugel wegen Insidergeschäften mit Aktien desselben Konzerns als Oberbürgermeisterkandidat zurücktreten musste.

Dass solchen Politikern der Stadtteil egal ist, solange nur die eigenen Pfründe wohlbestellt sind und die eigenen Quellen sprudeln, dürfte auch nichts Überraschendes mehr sein. Dass der eigene Oberbürgermeister, der immer wieder - zuletzt auf einer Pressekonferenz Anfang Juli - beteuerte, alle Projekte würden umgesetzt, dabei vor aller Welt zum Narren gemacht wird, interessiert diese Leute auch nicht, denn Roters wird nicht wieder antreten. Weshalb also Rücksicht nehmen.

Interessant und neu ist aber immer wieder zu sehen, wie die Politprofis der großen Parteien ihre Interessen durchsetzen und wie sie das hochverehrte Publikum, die Presse und die Geldgeber vermittelst ihrer Parteileute in der Stadtverwaltung dabei an der Nase herumführen.

Nachdem das Programm Mülheim 2020 im Jahr 2008 startklar war und losgehen sollte, wurde es erstmal in den Ratsgremien verschleppt. Dies geschah auf Betreiben von Dr. Thomas Portz, CDU, und Norbert Fuchs, SPD, die offen bekannten, dagegen zu sein, ohne aber den Mut zu haben, dagegen zu stimmen und auf die 40 Millionen aus Brüssel zu verzichten.

Der wirkliche Grund dafür war und ist, dass die beiden und ihre Anhänger in den "großen Volksparteien“ kein anderes Konzept hatten und haben, welches den Stadtteil aus der Verkehrs-, Bildungs- und Beschäftigungsmisere ziehen könnte, in der Mülheim seit Schließung großer Teile der Betriebe von F&G und KHD festhängt. Aus Mangel an eigenen Konzepten beschränkt sich ihre Tätigkeit notgedrungen darauf, alles zu blockieren, was andere zur Rettung vorschlagen. Dies bezieht sich vor allem auf Vorschläge aus der Bürgerschaft. Denn sie sind es, die den Stadtteil heruntergewirtschaftet, aber nie die Verantwortung dafür übernommen haben.

Als das "Mülheim 2020"-Programm im Jahre 2010 endlich durch den Rat war, begann heftiges Nachdenken in der Verwaltung. Tatsächlich ging es darum, die Projekte so umzumodeln, dass keine neuen Kräfte Geld kriegen, und dass die eigene Klientel bedient werden kann. Doch das gelang nicht, weil das Programm aus gutem Grund so gestrickt war, dass es nicht mehr abgeändert werden konnte. Und deshalb suchte man eine neue Verhinderungsstrategie. Man "entdeckte", dass angeblich alle Projekte europaweit ausgeschrieben werden müssten. Als Prophetin dieser schrecklichen Wahrheit suchte man sich die Amtsleiterin Maria Kröger, langjähriges SPD-Mitglied, die bisher vor allem durch penibles Controlling von Projekten anderer aufgefallen war. Die neue Wahrheit ließ man sich von der Düsseldorfer Anwaltskanzlei Bird & Bird bestätigen. Als das nicht genügte, erfand man die Notwendigkeit, einen Zeitmaßnahmenplan erstellen zu lassen - wieder durch ein auswärtiges Büro, diesmal in Bonn. Der vollständige Plan wurde trotz wiederholter Nachfragen aus Veedelsbeirat und BV niemals vorgelegt. Der Sinn für dieses neue Hindernis liegt darin, dass die Umsetzung von Mülheim 2020 durch diese bürokratische Maßnahme um weitere sechs Monate verschoben werden konnte.

Vor allem aber wurden die beiden Eckpfeiler des Programms, das Bildungsbüro und das Wirtschaftsbüro, lange nicht ausgeschrieben. Das Bildungsbüro nahm nach über drei Jahren, Anfang 2012, seine Arbeit auf, das Wirtschaftsbüro arbeitet zwei Jahre vor Programmschluss immer noch nicht.

Um das Ganze zu verschleiern, wurde auch das Controlling, welches zu jeder Zeit den Zugriff auf die Daten zum Stand des Programmes liefern sollte, nicht ausgeschrieben. Es arbeitet deshalb bis heute nicht. So kann niemand nachprüfen, wo das Programm eigentlich steht und wie weit das erklärte Ziel, Mülheim in den Bereichen Bildung und Beschäftigung an den städtischen Durchschnitt heranzuführen, bisher erreicht worden ist.

Die städtebaulichen Projekte wurden so geplant, dass ein wirklicher Umschwung in der Gestalt des Viertels verhindert wird. So darf die Frankfurter Straße keine Flaniermeile werden, damit weiterhin täglich 12.000 Fahrzeuge von Köln-Rath her durchs Viertel gepumpt werden können. Die Wegnahme einer Fahrspur des Clevischen Ringes, im Programm vorgesehen, ist ebenfalls kein Thema mehr. Nach dem Ausbau des Autobahnrings zwischen Mülheim und dem Kreuz Köln-Ost auf acht Spuren wäre das durchaus möglich. Dies macht erschreckend deutlich, dass für die herrschenden Kreise in SPD und CDU Mülheim immer noch zuallererst der Vorhof zu Messe und Innenstadt ist, etwas, wo man nicht anhält, sondern möglichst schnell durchfährt, um in die Glitzercity mit Dom, Messe, Museen und Einkaufstempeln zu gelangen.

Der sogenannte Rheinboulevard wird entgegen dem Wortlaut des Programms nicht über den Katzenbuckel auf dem Weg zwischen Hafenbecken und Fluss geführt, sondern entlang des Autoschnellwegs Auenweg, der kürzesten Verbindung zwischen Wiener Platz und Deutzer Brücke.

Aber das alles genügte natürlich nicht, um die Umgestaltung Mülheims nach den Vorgaben des EU-Programmes zu verhindern.

Ein externes Rechtsgutachten, in Auftrag gegeben von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM), belegt nun, dass die Stadt in den wichtigen Bereichen Bildung, Kultur und Soziales überhaupt keine europaweite Ausschreibung hätte machen brauchen, sondern die Aufträge freihändig an lokale Interessenten hätte vergeben können. Es belegt weiter, dass auch die von der Stadt bemühte Kanzlei Bird & Bird in Düsseldorf dieser Auffassung keineswegs widersprochen, sondern vielmehr betont hat, die Stadt müsse von Fall zu Fall prüfen, ob von der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung abgewichen werden kann. Wörtlich heißt es dazu in der Stellungnahme der Düsseldorfer Kanzlei, es müsse „in jedem Einzelfall im nächsten Schritt geprüft werden, wie die Ausschreibungen zu gestalten sind und ob ggf. auch eine Direktvergabe (Verhandlungsverfahren ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb gem. §3 Abs. 4 VOL/A-EG) in Betracht kommt". Dies ist erkennbar nicht geschehen, denn für Maria Kröger und ihre politischen Hintermänner ging es ja nie um die Umsetzung des Programms, sondern um dessen Verhinderung.

Möglich gewesen wäre sogar, die einzelnen Projekte direkt an vertrauenswürdige Organisationen im Viertel zu vergeben. Man hätte sie dafür nur bereits im Förderantrag zu nennen brauchen.
Trotz dieser düsteren Aussichten, die viele Mitarbeiter in der Verwaltung unter Maria Kröger schon seit langem das Totenglöckchen für Mülheim 2020 läuten lassen, wäre das Programm immer noch zu retten. Erforderlich wäre dafür zum einen die sofortige freihändige Vergabe aller noch ausstehenden Projekte im Bereich Kultur, Bildung, Soziales und Sport.

Darüber hinaus müssten die Stadt und ihre Ratsvertreter, angefangen bei der Grünen und Linken Fraktion, sich auf die Grundlagen des Programms besinnen, und dieses Schritt für Schritt und über das Programmende 2014 hinaus umsetzen. Dazu gehört vor allem die Herausnahme des Durchgangsverkehrs aus Mülheim. Der Weg von der Autobahn über die Mülheimer Brücke zur Kölner Innenstadt ist für Autofahrer aus Richtung Oberhausen und Dortmund nicht mehr erforderlich, weil der Ausbau des Autobahnringes bei Mülheim auf acht Spuren bis zur Stadtautobahn am Kreuz Köln-Ost abgeschlossen ist.

Das aber erlaubt nicht nur den Rückbau des Clevischen Ringes auf eine Fahrspur (bzw. die Einführung einer Busspur) und einen Radweg, der den Namen verdient; es erlaubt auch die Verbreiterung der Gehwege in der Frankfurter Straße zu einer Flaniermeile, wie sie Mülheim 2020 vorsieht, wie sie aber wegen der genannten 12.000 Autos von der Mehrheit aus SPD, CDU und GRÜNEN nicht umgesetzt wurde.

Dies erfordert auch den Ausbau des alten Güterbahnhofes in ein modernes Viertel, in dem sich Wohnen und Arbeiten verbinden und welches die Verinselung der Problemgebiete in der Keupstraße und der Berliner Straße aufheben würde. Dieses Ziel ließe sich leicht durch ein kleines Sanierungsgebiet erreichen, wie es zurzeit in anderen Teilen der Stadt geschieht, z.B. im Bereich der Markthalle. Dadurch ließe sich auch mit kleinem Geld von der Stadt Gelände für die im Programm geforderten niedrigschwelligen Arbeitsplätze durch Solidarökonomie erwerben, wie es die Bürger in plan 04, plan 05 und „advocacy planning“ vorgeschlagen haben, und wie es ein Workshop der Initiative Nachbarschaft Mülheim-Nord erst kürzlich wieder vorgeschlagen hat.

Wie sich die Parteien dazu verhalten, werden wir am 25. September bei der Vorstellung der Workshop-Ergebnisse im Kulturbunker im Rahmen von plan12 erfahren. Barbara Moritz, Jürgen Klipper und Michael Zimmermann haben ihr Erscheinen für die Podiumsdiskkusion bereits angekündigt.
(PK)

zum Artikel online:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=18060

(1) siehe NRhZ-Ausgaben 322. http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17017 und 331, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17262

NRhZ-Online-Flyer Nr. 365  vom 01.08.2012

Drucken